Berghüttenklausur 2016

Berghüttenklausur 2016

Vom 21- bis 22.04.2016 trafen sich auch dieses Jahr wieder zahlreiche Kolleginnen und Kollegen zum angeregten Austausch auf der „Berghüttenklausur“. Anlässlich der diesjährig erstmalig in Südtirol stattfindenden Tagung, im malerischen Kloster Neustift, Südtirol, widmeten sich die Teilnehmer zunächst den Besonderheiten des italienischen Gesundheitssystems: Professor Dr. Conca, Direktor des pychiatrischen Gesundheitsdienstes in Bozen erläuterte Aufbau und Organisation des psychiatrischen Dienstes in Italien und präsentierte das Verordnungsverhalten in der KJP im Hinblick auf die Diagnose ADHS: Im Gegensatz zu Deutschland kommen auf 1000 Kinder nur 1,8 Psychopharmaka Verschreibung (in D 34). ADHS-Patienten werden vor Erstverschreibung in einem Nationalregister erfasst – speziell für die Aufmerksamkeitsstörung gibt es in Italien 110 eigene ADHS-Zentren. Von 54.000 – 55.000 Kindern erhalten lediglich 3790 ADHS-Präparate. Das Medikament wird hier als Teil eines multimodalen Systems betrachtet – es greifen erst andere Interventionsmechanismen, bevor das Medikament verordnet wird. Die zurückhaltende Verschreibung von Stimulantien, kann einerseits durch die Interventionsmechanismen erklärt werden, andererseits bestehen auch ideologische Gründe.

Frau Anja Märsch, Pharmaziestudentin an der Universität Regensburg, präsentierte uns die Ergebnisse ihrer Recherche im Rahmen ihres Wahlpflichtpraktikums bei der AG klinische Pharmakologie zu spezifischen ausschließlich in Italien verfügbaren Wirkstoffen in Hinblick auf Pharmakokinetik und Pharmakodynamik: Delorazepam und Melevodopa. Bei ersterem handelt es sich trotz Namensgebung um ein starkes und langwirksames Benzodiazepin mit einer Halbwertszeit von ca. 100 Stunden. Lorazepam ist der Hauptmetabolit. Melevodopa ist ein Prodrug und wird prähepatisch weitestgehend zu Levodopa decarboxyliert. Unterschiede zu Levodopa sind im Bereich der Pharmakokinetik zu finden. In Studien konnte eine Verkürzung der Zeit bis zum Wirkeintritt nachgewiesen werden, was wahrscheinlich auf einer besseren Löslichkeit und einer schnelleren Resorption im Vergleich zu Levodopa beruht. Auch ist es möglich, individuelle Schwankungen der Levodopa-Blutplasmaspiegel zu glätten. Daneben soll die Anwendung als Brausetabletten und die damit verbundene Verabreichung als trinkfertige Lösung vorteilhaft bei Schluckbeschwerden und Motilitätsstörungen sein

Dr. Michael Schröder, Arzt in der Epilepsieambulanz in Regensburg, erläuterte uns am späten Nachmittag anschaulich Grundlagen der Epilepsietherapie: So istd ie Wahl der antiepileptischen Therapie an verschiedene Faktoren gebunden: Klassifikation der Epilepsie und somit Indikation, Alter, Geschlecht, Komorbidäten, Komedikation, Raucher, Darreichungsform, soziale Situation, Pharmakokinetik des Medikation, sowie Komedikation. Für fokale Epilepsien sind wesentlich mehr Wirkstoffe zugelassen: Neben neurophysiologischen Gründen betrifft dies vorallem die Zulassung und Vorgaben seitens der EMA. Die Studienpopulation im Epilepsiebereich besteht immer aus Patienten mit pharmakotherapieresistenter fokaler Epilepsie- Bei dieser Gruppe werden die neuen Medikamenten als add-on zu bestehender Therapie verwendet und die Überlegenheit gegenüber Placebo untersucht. Auch wenn der Fokus auf Klassifikation eines Epilepsie-Patienten von anderen Fachrichtungen nicht nachvollziehbar ist, so ist dies doch der essentielle Faktor, um eine sichere und wirksame Therapie zu gewährleisten, um den richtigen Wirkstoff auszuwählen und die Situation des Patienten nicht zu verschlechtern. Das falsche Präparat kann im Extremfall zum Status Epilepticus führen.

Am Folgetag referierte Frau Dr. Katharina Wenzel-Seifert, Ärztin bei der kassenärztlichen Bundesvereinigung in Berlin, über das AMNOG-Bewertungsverfahren zur Nutzenbewertung am Beispiel von Vortioxetin. Seit 01. Januar 2011 muss für jeden neu zugelassenen Wirkstoff neben dem therapeutischen Nutzen, auch der wirtschaftliche Zusatznutzungen gegenüber der Standardtherapie belegt werden. Sobald das Bewertungsgutachten des IQWIG vorliegt, welches auf Basis aller relevanten Studien, die zum Vergleich mit der Standardtherapie geeignet, sind, vorliegt, wird in den darauffolgenden Sitzungen seitens pharmazeutischem Unternehmer, Mitgliedern des Spitzenverbandes der GKV, Angehörige der Fachgesellschaften , Patientenorganisationen, niedergelassenen Kollegen das Ergebnis der Bewertung diskutiert. Dem pharmazeutischen Unternehmer wird stets die Gelegenheit gegeben Kritikpunkte auszuräumen und Informationen nachzureichen.

Im Anschluss präsentierten Doktoranden der Arbeitsgruppe AG Klinische Pharmakalogie aus Regensburg, ihre Recherche-Ergebnisse zu Fragestellungen, welche sich in den vergangenen Fallkonferenzen ergeben hatten: Florian Ridders, Apotheker, bewertete die Fragestellung, ob das plötzliche Absetzen von Benzodiazepinen Suizide induziert. Herr Daniel Braun, Apotheker, erläuterte das Myokarditis-Risiko unter Olanzapin, welches eine große strukturelle Ähnlichkeit zu Clozapin besitzt. In der Fachliteratur sind Myokarditis-Fälle unter einer Olanzapin-Therapie erwähnt. (T. Vang et al.) Um Informationen über die Häufigkeit einer Myokarditis unter Olanzapin zu erhalten, wurden verschiedene Datenbanken („VigiAccess.org“, „eHealthMe.com“ und „adrreports.eu“)durchsucht. In jeder dieser Datenbanken finden sich Fälle von Myokarditis unter einer gleichzeitigen Behandlung mit Olanzapin. Diese Vorfälle ereignen sich meist innerhalb eines Monates nach Ansetzen von Olanzapin. Allerdings treten diese Fälle unter Olanzapin nicht so häufig auf wie unter Clozapin. Auch Quetiapin besitzt eine strukturelle Ähnlichkeit zu Clozapin. Deshalb wurden die genannten Datenbanken auch in Bezug auf Quetiapin durchsucht. Die Häufigkeit des Auftretens einer Myokarditis unter Quetiapin ist vergleichbar mit der Häufigkeit unter Olanzapin. Bisher gibt es allerdings keinen Beweis für einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Auftreten einer Myokarditis und einer Therapie mit Olanzapin oder Quetiapin. In einigen Fällen ist ein Zusammenhang aber sehr wahrscheinlich. Das Risiko einer Myokarditis ist unter Behandlung mit Olanzapin oder Quetiapin vermutlich erhöht, jedoch kleiner als unter Behandlung mit Clozapin. Symptome, die auf eine Myokarditis hindeuten können, sollten beachtet werden, z. B. ein erhöhter CRP-Wert.